Ein fragmentarischer Erfahrungsbericht von der Bürgerversammlung am 25.02.2014 im Zustand leichter Verwirrung
Nach dem Besuch einer "Bürgerversammlung" in Landsberg benötigt man psychologische Betreuung. Es ist es keine Bürgerversammlung im eigentlichen Sinne, sondern eher eine Untertanenversammlung. Aber sehen Sie selbst:
Zu Beginn referierte unserer verehrter Souverän, Oberbürgermeister Hr. Neuner, im Scheinwerferlicht auf der Bühne eine geschlagene Stunde lang über die Ereignisse des vergangenen Jahres. Von Problemen war kaum die Rede, offenbar hat die Stadt unter der Führung von Hrn. Neuner keine. Gut zu wissen! Wir, die Untertanen, harrten in Ergriffenheit aus, und lauschten den Ausführungen respektvoll. Wann hat man schon mal Gelegenheit der Macht so nahe zu sein, und von den Besten zu lernen?
Aber dann ging es los! Die Untertanen, die schriftlich oder per Email sich erdreistet hatten Anträge einzureichen, wurden in chronologischer Reihenfolge zum Vorsprechen aufgefordert. Natürlich hatte der Souverän Hr. Neuner jederzeit das Recht die Ausführungen missliebiger Untertanen zu unterbrechen und zu kommentieren bzw. inquisitorische Zwischenfragen zu stellen, bevor der Bittsteller klarmachen konnte, was er überhaupt wollte. Das sollte man unserem verehrten Souverän nicht übel nehmen, schließlich weiß Herr Neuner am Besten, was gut für uns ist, deswegen haben wir ihn ja schließlich gewählt. Und wir sollten schließlich nicht verwirrt werden.
In atemloser Spannung harrte ich aus, denn schließlich hatte ich die Impertinenz besessen, vorab Anträge per Email zu stellen. Aber der verehrte Souverän beschloss in seiner unendlichen Weisheit meine schriftlichen Anträge zu ignorieren. Panik begann in mir aufzusteigen, hatte ich den verehrten Souverän etwa verärgert? Bilder von Verhören in dunklen, kalten, und nassen Verließen, mit grellen Lichtkegeln direkt auf mein blasses Gesicht gerichtet, spukten durch meinen Kopf. Oder war es ein Versehen? Nein, der verehrte Souverän macht keine Fehler, ich war geliefert, da war ich mir sicher. Es war wohl schon zu spät.
In einem letzten, verzweifelten Akt der Selbstbehauptung hob ich die Hand zum Zeichen meines Wunsches meine Anträge stellen zu dürfen. Zu meiner unbeschreiblichen Freude wurde ich vom verehrten Souverän erhört und er erteilte mir, der ich jetzt zwischen wahnsinniger Panik und irrer Freude schwankte, das Wort.
Zu meiner Verwunderung kannte der verehrte Souverän den Inhalt meines ersten Antrags bereits bevor ich auch nur den ersten Satz vollständig desselbigen zu Gehör gebracht hatte.
"Rücklagen und Gewinne der Stadtsparkasse für die Sanierung des Stadthaushalts? - Das ist gesetzeswidrig!"schallte es mir entgegen. Und überhaupt:
"Wollen sie jetzt Rücklagen oder Gewinne einsetzen, oder was?".
Und dann herablassend, ganz verehrter Souverän, meine Einwände ignorierend: "Stellen Sie jetzt ihren Antrag!". Ich presste, mich am Mikrofon festhaltend, meine Antrag hervor. Ich verlor natürlich die Abstimmung. Ich bezweifelte, dass überhaupt irgend jemand mein Anliegen verstanden hatte. Der verehrte Souverän war erkennbar indigniert, so jemanden reizt man nicht, wenn man ihm Auge um Auge gegenübersteht.
Ich formulierte kaum den ersten Satz meines zweiten Antrags, da machte der verehrte Souverän auf der Bühne einen Schritt nach vorne auf mich zu, und schrie mich an:
"Sie wollen also wissen, welche Kredite der Verwaltungsrat von der Stadtsparkasse bezogen hat? Das geht Sie gar nichts an!"
Meine Einwände, nur noch als Halbsätze formuliert, wurden vom verehrten Souverän vom Tisch gewischt. Jetzt ging der verehrte Souverän, zum Angriff über: Mit bösartigen Unterton hörte ich den verehrten Souverän ätzen:
"Das ist ja noch schöner, dass sie diesen netten Menschen ihre Kredite für ihre Häusl missgönnen!".
Ich entgegnete schon nichts mehr, ergab mich in mein Schicksal. "Stellen sie jetzt ihren Antrag!", herrschte er mich an. Ich weiß nicht mehr, was ich genau sagte.
Müßig zu erwähnen, ich verlor die nachfolgende Abstimmung, enttarnt als Misanthrop, der diesen liebenwürdigen, intelligenten und fleißigen kommunalen Verwaltungsratmitglieder der Stadtsparkasse ihre sauer verdienten Kredite für ihre "Häusl" wegnehmen wollte. Ja, ich sollte mich schämen. Denn der verehrte Souverän Hr. Neuner weiß was gut für uns ist. Schließlich haben wir ihn deshalb gewählt.
Ich stellte noch mehrere Anträge, an deren Formulierung ich mich nicht mehr erinnern kann; die blanke Angst blockierte jeden vernünftigen Gedanken. Wer unserem verehrten Souverän Hrn. Neuner als Untertan gegenübersteht, wird verstehen, was ich meine.
Der Abend war gelaufen. Irgendwie versuchte ich die Fassung zurückzugewinnen und bin nach Hause geschlichen.
"Das geht Sie gar nichts an!"hallte immer noch in meinen Ohren, während ich durch die Nacht floh. Was würde der verehrte Souverän wohl mit mir anstellen? Dann, schien mir, ich verliere den Verstand. Konnte das alles Wirklichkeit gewesen sein im 21. Jahrhundert, oder hatte ich einen Flashback erlitten, zurück zu "In einer Stadt vor unserer Zeit"?
Zwei Tage später…
Es geht mir schon besser. Ich kenne jetzt in den lichten Momenten schon wieder meinen Namen. Und dann ist mir dieser Artikel 'BEANTWORTUNG DER FRAGE: WAS IST AUFKLÄRUNG ?' von Immanuel Kant nach langer Zeit mal wieder in die Hände gefallen, der mit folgenden Textzeilen beginnt:
"AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."
Ja, verehrter Souverän Hr. Oberbürgermeister Neuner, Sie haben mir Angst gemacht, aber die Idee dieses Hrn. Kant ist viel größer als SIE, und deshalb werde ich als Bürger wiederkommen, das kann ich Ihnen versprechen, egal wieviel Angst Sie versuchen mir einzujagen und wie manipulativ Sie auch sein mögen.